You do not know what wars are going on down there
where the spirit meets the bone

Miller Williams

Der Leichnam einer schönen Frau ist der ultimative Kick des literarischen Mannes – die männlichen Ruhmeshallen der Kunst sind mit Mordopfern gepflastert. Manchmal erledigt der Künstler das schmutzige Geschäft selbst, doch meistens geschieht alles wie von selbst. In seinem »Buch der Könige« behauptet Klaus Theweleit allerdings, daß es keineswegs »einfach so« geschieht – die innere Logik der musischen Beziehung sorgt dafür, daß die Muse weiß, wo sie hingehört. Und wo sie hingehört, das ist da unten, in die Unterwelt (»Hadesconnections«), wohin Orpheus Eurydike mit einem letzten Blick verbannt – The Look of Love.

Ist da was dran? Hätte er sie nicht leben lassen können – eine Leiche taugt kaum als Sexobjekt, zumindest nicht nach einer gewissen Zeit …? Zum Glück findet der Künstler immer ein anderes, oft mit exzellenten Schreibmaschinenkenntnissen, wie gerufen für die Fortführung des eigenen Werkes; aber der Leichnam ist dort unten auf ewig, völlig unter Kontrolle, Deep Throat aus dem Watergate der Unterwelt. Und diese Kehle singt und singt, der Künstler ist der einzige, der sie hören, die kodierte Botschaft übersetzen und ihren bezaubernden Gesang der Welt übermitteln kann – und als seinen eigenen verkaufen.

»Das Leuchten der Frau bewundernd zu besingen, geht am besten, wenn die Frau ein Stern ist […], zu dem der Mann als Kunststern in Beziehung tritt.« Im »Buch der Könige« folgt Theweleit verschiedenen Orpheusfiguren in die Unterwelt und wieder zurück und fragt, ob Orpheus sich umblickte, weil er Eurydike so liebte – »So ist mir die Vermutung gekom- men, es ist nicht aus reiner Liebe, sondern aus einer anderen Leidenschaft, daß Orpheus sich umwendet auf der Treppe, um in die Augen seines Weibs zu blicken. Möglicherweise tut er es, um sie dort unten zu halten in einer Funktion, die für den Secret Service eine Figur wie Unser Mann in Havanna hätte … ein wichtiger Pol im Jenseits-Speicher …« – the Inspiration Corp(se)!

Indem Theweleit die Reisen dieser Orpheusfiguren für uns opulent und bis ins kleinste Detail kartographiert, macht er uns zu Zeugen der psychischen Verbrechen, die im Namen von Kunst und Liebe begangen werden, oft mit den besten Absichten und scheinbar unter voller Zusammenarbeit des Opfers. Doch reicht die Beweislast nie aus, um irgend jemand zu überführen, was auch ausdrücklich nicht Theweleits Absicht ist. Er will herausfinden, was genau geschah, ein Philipp Marlowe der Psycho-Kunstgeschichte; denn »unsere Blicke auf das Kunstwerk werden dadurch [die vampirischen Blicke der Dichter] legiert«. Oder, wie Edgar Allan Poe es so treffend ausdrückt: »Der Tod einer schönen Frau ist ohne Frage das poetischste Thema der Welt.« (The Philosophy of Composition)

Der König ist es, der auf den Leichen derer steht, die er »überlebte«, der die Historie – »his story« – erzählt. So der König der Kunst: Seine mythische Aura gedeiht auf den Gräbern derer, die er übermannte, seine Wurzeln nähren sich vom Leichenmaterial da unten, oft dem seiner »Nächsten und Liebsten«, der Frauen, die einst sein Werk da oben wachsen ließen. Ist die Dame einmal eine Leiche, spricht ihr Körper durch den König, und der König schreibt die Gesänge seiner Leiden in ihren Leichnam ein, so tragisch wie verführerisch. – Nach Roland Barthes verwandelt der Mythos Bedeutung in einen sprechenden Leichnam, den »weiblichen Körper-als-Text«. In ihrem Buch »Nur über ihre Leiche« stellt Elisabeth Bronfen diese These wieder auf den Kopf: Der sprechende Leichnam produziert mythische Bedeutung. Bronfen führt Freud höchstselbst an, den »Über-König« und Mythenmacher, wie er den Tod seiner Tochter Sophie im Alter von 26 Jahren ausschließlich in Bezug auf die »narzißtische Kränkung« beschreibt, mit der er aufgrund ihres Todes zu kämpfen hat. Diese wiederum wird zum Antrieb, den nächsten Abschnitt seines Werks über den Todestrieb in Angriff zu nehmen – wessen Tod, wessen Trieb? Und geradezu überdeutlich wird die Angelegenheit, wenn wir die wahre Geschichte lesen, wie der Maler und Dichter Dante Gabriel Rosetti den Leichnam von Ehefrau, Modell und Muse in Personalunion, Elizabeth Siddall sieben Jahre nach ihrem Tod exhumieren ließ, um an einen Band Gedichte zu kommen, die er für sie geschrieben und mit ihr begraben hatte, »zwischen ihrem Haar und ihrer Wange«. Man stelle sich die grausige Szene vor: Der Künstler entreißt den Text im Wortsinn einer Leiche. Wahrhaft erbaulich!

Wie also erschaffen die Könige der Kunst ihre königsmachenden Leichname? Zwei Könige der deutschen Literatur und ihre mitarbeitenden Geliebten ragen besonders hervor aus Theweleits umfassender Erzählung: Gottfried Benn und Bertolt Brecht.

Januar 1945: Gottfried Benn, Zeit seines Lebens mit einer »girlandenartigen« Kette unterstützender Musen behängt, überlebt gerade das Dritte Reich als Angehöriger der Wehrmacht, als Schriftsteller jedoch per Schreibverbot zum Schweigen gebracht. Er schreibt »wie verrückt« unter tätiger Mithilfe eines Publikums bestehend aus Ehefrau Herta und Freund Friedrich Oelze, und versucht nun verzweifelt zum anderen, richtigen, westlichen Ufer des Styx (der Elbe) zu gelangen. Einmal in Berlin, fürchten die Benns, Herta könne von plündernden Russen vergewaltigt werden, und Gottfried entscheidet, seine Frau auf einem Lastwagen zu dem Dörfchen Neuhaus an der Elbe zu schicken, das voraussichtlich der amerikanischen Zone zugeteilt werden soll. Herta nimmt ihren Teil der tödlichen Dosis Morphium – Sister Morphine – mit auf den Weg, von Gottfried aufbewahrt für den Fall des plötzlichen Erscheinens der »Roten Reiter«. »Benn sagt später, ohne sein Wissen (was nicht sehr wahrscheinlich ist).«

Benn folgt ihr nicht nach Neuhaus, es ist nicht bekannt, warum nicht. Schließlich wird Berlin von der Roten Armee besetzt, und Neuhaus, ursprünglich Teil des amerikanischen Sektors, kommt doch in russische Hand. Herta Benn, allein, krank, frierend und hungernd, seit zwei Monaten nichts von Benn gehört, obwohl der Krieg seit zwei Monaten beendet ist – injiziert sich das Morphium und stirbt im Juli 1945.

Ein paar Monate nach dem Tod seiner Frau schreibt Benn: »Sehr mutig u. lebensvoll war sie schon lange nicht mehr.« Vier Jahre später, in Bezug auf, unter anderen, das Gedicht »Orpheus’ Tod«: »Merkwürdig übrigens, wie ich mit einer Art innerem Sinn meine verstorbene Frau immer so sah, daß ich sie verlieren würde.« Zu der Zeit, als Herta und Gottfried noch eine Wohnung in Berlin teilten, schreibt er an den Freund Oelze, daß, da Hertas Arthritis eine schnelle Flucht in den Luftschutzkeller behindert, er manchmal sich allein dorthin begibt. Manchmal geht er gar nicht, da kurze Zeit zuvor 145 Menschen in einem Bunker umkamen. Theweleit hingegen beschreibt die Szene so: »Jedenfalls schien es zwischen ihnen möglich, sie in der Wohnung allein zu lassen. Ein Gefühl ihrer [Hertas] größeren Nähe zum Tod muß zwischen ihnen gewesen sein. Das sagt nicht nur sein merkwürdiger Hinweis auf ihren verschwundenen Lebensmut.«

Zieht man die bewundernde Wertschätzung in Betracht, die Benn, der König der Wörter, von seiten seiner Frauen genoß, kann man sich durchaus vorstellen, daß Herta den König darin ermutigte, sein Überleben wichtiger zu nehmen als ihres. Auch würden entrüstete Schuldzuweisungen nur den Blick auf das Folgeereignis trüben: die Ausschlachtung des Leichnams durch das Dichterhirn. In einem neuen Deutschland, sobald das Schreibverbot – diesmal durch die Alliierten – aufgehoben ist, plant Benn, das deutsche Volk durch Dichtung zu erheben. Er »macht die Reise über den Styx«, wie er es selber nennt, um Hertas Grab aufzusuchen, und kurz darauf ist »Orpheus’ Tod« geboren:

An Totes zu denken ist süß,
so Entfernte,
man hört die Stimme reiner,
fühlt die Küsse.

Vor und nach dieser gab’s noch mehr Eurydike-Leichen, die Benns Dichter-Vampir-Herz nährten. Eine davon, Else Lasker-Schüler, sang ihr eigenes Lied, als Benn sie verließ:

Und in deines Kinnes Grube
Bau ich mir ein Raubnest –
Bis – du mich aufgefressen hast.

Find dann einmal morgens
Nur noch meine Knie,
Zwei gelbe Skarabäen für eines Kaisers Ring.

Und ein weiteres Gedicht trägt schlicht den Titel: »Dem Barbaren« …

Benns Geschichte ist freilich nur eine unter vielen, darunter die von Bertolt Brecht und Margarete Steffin. Flucht auch hier, diesmal vor den Nazis, auch hier ein König der Wörter, bewundert und umgeben von vielen Frauen, hier das Zurücklassen – statt Verschickung – einer kranken Frau, einer Frau, die Geliebte und Mitarbeiter war. Theweleit macht sich ans Eingemachte des Gedichtes, das Brecht nach ihrem Tod schrieb, »Nach dem Tod meiner Mitarbeiterin M.S.« Er seziert den Pulsschlag des obszönen Gedichtkörpers, das den geliebten Leichnam verschlang: Warum, fragt er, verortet das Gedicht Steffin in Moskau (überflüssigerweise »Rote Stadt« genannt), verschweigt aber Brechts Aufenthaltsort USA? Warum nennt ein Gedicht, das die großen Fragen von Kunst und Krieg aufwirft und die Geliebte hoch ins Firmament über dem Garten erhebt, sie »Meine Kleine«? Warum? – Und hier verliert Theweleit denn doch die Fassung: »Die Behauptung, jemand sei, indem man sie/ihn beansprucht habe, leichter gestorben, habe ich immer für einen Satz gehalten, so unberührbar, daß höchstens der Arsch von Priester darauf käme, ihn in den Mund zu nehmen.« Süßer ist’s für einen Dichter zu sterben, denn für das Vaterland!

Lang genug auf Leichen gestarrt! Geben wir Eurydike selbst das Wort, hier in der Person von Ezra Pounds langmütig leidender und dennoch resoluter Ehefrau:

So hast du mich zurückgekehrt,
Ich, die gegangen wäre mit den lebenden Seelen,
über der Erde […]

für deine Überhebung
aus deiner Gnadenlosigkeit
finde ich mich zurückgefegt […]

was hast du gesehen in meinem Gesicht?
das Licht deines eigenen Gesichts,
das Feuer der eigenen Präsenz?

Oder, wie Jean-Luc Godard es in einem Interview formuliert, mit dem Theweleit den ersten Band des Buchs der Könige beendet: »Der Film ist für mich Eurydike. Eurydike sagt zu Orpheus: ›Wende dich nicht um.‹ Und Orpheus wendet sich um. Orpheus ist die Literatur, die Eurydike dem Tod weiht. Und sein restliches Leben lang macht er Kohle mit dem Buch über den Tod Eurydikes, das er veröffentlichte. […] Für mich sind die Bilder das Leben und das Geschriebene der Tod. Es muß beides geben: Ich bin nicht gegen den Tod. Aber ich bin nicht für den Tod des Lebens in diesem Ausmaß, vor allem nicht in der Zeitspanne, in der das Leben gelebt werden sollte.«

Erschienen im OPAK Magazin #06 Diebstahl / aug – okt 2010